Sonntag, 5. Juli 2015

Chlordioxid macht die Kühlwasserdesinfektion sicherer und wirtschaftlicher

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Kühlwasserdesinfektion

Chlordioxid macht die Kühlwasserdesinfektion sicherer und wirtschaftlicher



Kreislaufgeführte Nasskühltürme



Prinzip der Chlordioxid-Desinfektion


Das zur Trinkwasserdesinfektion zugelassene Chlordioxid kann auch Biofilme in Kühlwasseranlagen in Schach halten. Allerdings muss der Betreiber für den Einsatz des giftigen und explosiven Gases hohen technischen Aufwand betreiben, deshalb wird die Chemikalie in der Praxis kaum eingesetzt. Ein neues Verfahren könnte das jetzt ändern.
Mit einem neuen Verfahren auf Basis von Chlordioxid hat Infracor, das als Tochter von Evonik Industries im Geschäftsbereich Site Services den Chemiepark Marl versorgt, die Biozidbehandlung von Kühlwasser sicherer und wirtschaftlicher gemacht. Infracor versorgt in Marl einen der großen Chemiestandorte Deutschlands. Die Versorgung des Standorts mit Kühlwasser erfolgt über 16 Rückkühlwerke mit einer Umwälzleistung von etwa 80 000 m³/h. Die Kühlsysteme gehören zur Gruppe der kreislaufgeführten Nasskühltürme.
Als Kühlturmzusatzwasser wird Wasser aus dem Wesel-Datteln-Kanal verwendet, das nach der Aufbereitung in Form einer Teilentkarbonisierung in den Kühlsystemen mehrfach eingedickt wird. Die Fahrweise ist schwach alkalisch. Die chemische und mikrobiologische Qualität des Kühlwassers unterliegt einer engmaschigen Steuerung und Überwachung.
Kühlwasser in Rückkühlwerken bietet ideale Bedingungen für die Vermehrung von Mikroorganismen. Mikrobielles Wachstum in Kühlsystemen ist immer mit der Bildung von Biofilmen verbunden, die alle wasserführenden bzw. feucht gehaltenen Oberflächen eines Kühlsystems in unterschiedlicher Dicke bedecken. Für ein Kühlsystem ist der Aufbau von Biofilmen immer mit gravierenden Nachteilen verbunden: Biofilme verursachen eine deutliche Verschlechterung des Wärmeübergangs, führen zu mikrobiell beeinflusster Korrosion (MIC) und sind die Basis für das Wachstum von Legionellen und damit die Ursache einer ständigen Rekontamination des Kühlwassers mit Legionellen. Zur Kontrolle des mikrobiellen Wachstums in Kühlsystemen ist deshalb eine effiziente Biozidbehandlung unverzichtbar.
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Diese Nachteile hat die Desinfektion mit Chlor
Die Kühlwasserdesinfektion im Chemiepark Marl erfolgt derzeit überwiegend durch eine Biozidbehandlung mit einer Kombination aus Chlor, Natriumbromid und einem nichtio-nischen Tensid. Die desinfizierende Wirkung des Chlors beruht im Wesentlichen auf seiner Eigenschaft als Oxidationsmittel. Wirksames Agens ist die undissoziierte hypochlorige Säure, die in Abhängigkeit vom pH-Wert unter Bildung von Hypochlorit-Ionen dissoziiert. Die pH-Werte des Kühlwassers liegen mit Werten bis etwa pH 7,8 – je nach Fahrweise des spezifischen Rückkühlwerks – in einem Bereich, in dem Chlor allein keine ausreichende Wirkung mehr besitzt.
Zur Verbesserung der bioziden Wirksamkeit wird Chlor daher in Kombination mit Natriumbromid angewendet, wodurch aufgrund der Bildung von hypobromiger Säure die biozide Wirksamkeit im relevanten pH-Bereich verbessert wird. Führungsgröße für die Biozidbehandlung des Kühlwassers ist das Redoxpotenzial, das daher kontinuierlich gemessen wird.
Das Redoxpotenzial eines Wassers ist charakteristisch für die Geschwindigkeit der Keimtötung durch oxidierende Desinfektionsmittel, wobei gilt: je höher das Redoxpotenzial, desto schneller die Keimtötung, und umgekehrt. Die Biozidbehandlung erfolgt stoßweise, indem beim Unterschreiten bestimmter Redoxwerte die Chlorungsanlage startet und beim Überschreiten bestimmter Schaltpunkte wieder stoppt.
Der entscheidende Nachteil einer Kühlwasserdesinfektion mit Chlor/Bromid ist deren stark eingeschränkte Wirksamkeit gegenüber Mikroorganismen im Biofilm. Außerdem wird die Veralgung der Kühlturmeinbauten nicht in ausreichendem Maße verhindert. Je nach Situation – beispielsweise bei massivem Algenbewuchs der Kühlturmeinbauten oder bei erhöhten Legionellenbefunden – ist daher der zusätzliche Einsatz von Peressigsäure als ergänzende Maßnahme unverzichtbar. Per-essigsäure hat neben desinfizierenden auch belagslösende Eigenschaften.
Das bringt Chlordioxid für die Desinfektion
Die Kühlwasserdesinfektion mit Chlordioxid bietet im Vergleich zu den überwiegend eingesetzten oxidierenden Bioziden wie Natriumhypochlorit, Chlor oder Chlor/Bromid substanzielle Vorteile hinsichtlich mikrobiozider Wirksamkeit und Umweltverhalten. Die chemischen Eigenschaften von Chlordioxid unterscheiden sich grundlegend von denen des Chlors. Chlordioxid ist ein sehr gut wasserlösliches Gas; es dissoziiert nicht, sondern liegt als freies Radikal in Wasser vor. Dadurch ist seine Desinfektions- bzw. Oxidationswirkung unabhängig vom pH-Wert.
Chlordioxid löst überdies Biofilme bzw. verhindert deren Entstehung und begrenzt so eine fortwährende Rekontamination des Wassers beispielsweise mit Legionellen. Im Gegensatz zu Chlor führt es nicht zur Bildung von Trihalogenmethanen, und die Bildung organisch gebundener Halogene (AOX) oder anderer unerwünschter organischer Desinfektionsbeiprodukte ist ebenfalls fast vollständig ausgeschlossen. Diese Eigenschaften machen Chlordioxid zu einem idealen Biozid bzw. Oxidationsmittel in der Wasserbehandlung. Chlordioxid ist zur Trinkwasserdesinfektion zugelassen.
Trotz der substanziellen Vorteile in Bezug auf Wirkung und Umweltverhalten ist die Anwendung von Chlordioxid insbesondere in der Kühl- und Prozesswasserdesinfektion eher selten. Ein Grund hierfür ist der hohe Aufwand hinsichtlich Anlagentechnik, Betrieb, Wartung und Personalschulung sowie für die Überwachung zur Vermeidung des Risikos einer Chlordioxidemission oder -explosion – ein Aufwand, der bei Betrieb von Chlordi-oxidanlagen nach dem heutigen Stand der Technik erforderlich ist.
Chlordioxid ist ein giftiges Gas mit einem Arbeitsplatzgrenzwert von 0,1 ppm bzw. 0,3 mg/m³. Oberhalb einer Konzentration von zehn Volumenprozent in der Gasphase kann Chlordioxid explodieren. Eine solche Chlordi-oxidkonzentration stellt sich bei 20 °C oberhalb einer wässrigen Chlordioxidlösung von 8 g/l ein. Die Gefahr eines Zerfalls wässriger Lösungen besteht oberhalb einer Konzentration von 28 g/l.
Aufgrund dieser Eigenschaften kann Chlordioxid nicht in den benötigten Mengen gelagert oder transportiert werden, sondern muss immer direkt am Einsatzort erzeugt werden. Die Erzeugung von Chlordioxid für die Wasserbehandlung erfolgt überwiegend in Natriumchlorit-basierten Prozessen, wobei der Säure-Chlorit-Prozess zu chlorfreiem Chlordioxid führt.
Chlordioxidanlagen nach dem Stand der Technik sind wie folgt gekennzeichnet:
Die Aufstellung in personenbegangenen Räumen erfordert komplexe Sicherheitsvorkehrungen zur Absicherung der mit dem Prozess verbundenen Risiken einer Chlordi-oxidemission oder -explosion.
Die Chlordioxidsynthese aus verdünnten Edukten führt zu einer langsamen, temperaturabhängigen Reaktion mit unvollständiger Umsetzung (85 bis 95 Prozent Ausbeute). Die maximale Chlordioxidkonzentration im Reaktor wird auf 20 g/l begrenzt. Die Reaktoren müssen hermetisch verschlossen sein und sind häufig Druckbehälter.
Lange Reaktionszeiten erfordern große Reaktorvolumina, die beträchtliche Mengen Chlordioxid beinhalten. Liegt die Erzeugungskapazität der Anlage z.B. bei einem Kilogramm Chlordioxid pro Stunde, befinden sich im Reaktor etwa 160 Gramm Chlordioxid.
Das neue Verfahren bietet Vorteile
Um dennoch die Vorteile von Chlordioxid nutzen zu können, hat Infracor ein neues Verfahren entwickelt, zum Patent angemeldet und in der Praxis zum Einsatz gebracht. Es schließt die Betriebsrisiken von Chlordioxidanlagen nach dem Stand der Technik aus und ermöglicht eine sichere und wirtschaftliche Anwendung von Chlordioxid.
Beim Infracor-Verfahren wird das Chlordioxid ausschließlich im zu behandelnden Wasser erzeugt, und bis zur Reaktion bleiben die Edukte strikt voneinander getrennt. Die Chlordioxidsynthese erfolgt dabei unter optimierten Reaktionsbedingungen aus konzentrierten Edukten und resultiert in einer schnellen, temperaturunabhängigen Reaktion mit Ausbeuten von mehr als 98 Prozent.
Die Chlordioxidkonzentration im Reaktor beträgt 80 g/l. Das spezifische Reaktorvolumen ist um den Faktor 500 verkleinert, die darin enthaltene Chlordioxidmenge auf unter ein Prozent reduziert. Der Reaktor ist direkt zum umgebenden Wasser geöffnet. Der Vorteil: Hat die Anlage beispielsweise eine Erzeugungskapazität von ein Kilogramm Chlordioxid pro Stunde, beträgt die Menge an Chlordioxid im Reaktor nur etwa 1,4 Gramm, und diese wird infolge des direkten Austauschs mit dem umgebenden Wasser sofort auf eine unbedenkliche Konzentration verdünnt.
Praxistest bestanden
Entscheidende Vorteile der Chlordioxiddesinfektion wurden im Chemiepark Marl bereits in der Praxis verifiziert. Dazu gehören das Ablösen von Biofilmen bzw. Belägen, die auch noch nach der Verrieselung bestehende Wirksamkeit und damit die Verhinderung einer Veralgung der Kühlturmeinbauten sowie die Reduktion der AOX auf Werte unter 50 μg/l.
Bei der Umstellung von Chlor/Bromid auf Chlordioxid kann in der Anfangsphase über einen Zeitraum von einigen Monaten der Verbrauch an Chlordioxid um ein Vielfaches zunehmen und die DOC- und AOX-Werte steigen (DOC: gelöster organischer Kohlenstoff). In dieser Phase werden vorhandene Biofilme abgelöst. Das führt u.a. zur Freisetzung der darin abgelagerten chlororganischen Verbindungen und damit zu erhöhten AOX- und DOC-Werten und verursacht eine erhöhte Chlordioxidzehrung.
Der anfängliche Chlordioxidverbrauch in einem umgestellten Rückkühlwerk betrug etwa 220 kg pro Woche und reduzierte sich im Verlauf von etwa sechs Monaten auf 28 bzw. 13 kg pro Woche. Bei der Umstellung auf Chlordioxid stiegen die AOX-Werte zunächst auf fast das Doppelte an. Parallel zur Abnahme des Chlordioxidverbrauches reduzierte sich die AOX-Konzentration auf Werte unter 50 μg/l.
Die Umlaufleistung des betrachteten Kühlsystems betrug rund 3500 m³/h, die Dosierung zur Einstellung eines Redoxpotenzials zwischen 330 und etwa 500 mV variierte zwischen 0,7 und 0,3 ppm. Ein weiteres Rückkühlwerk wurde über einen Zeitraum von 1,5 Jahren ausschließlich mit Chlordioxid desinfiziert. Entgegen der Annahme, dass Chlordioxid bei der Verrieselung vollständig ausstrippen würde und damit die Kühlturmeinbauten unbehandelt wären, blieben die Kühlturmeinbauten während dieses Zeitraumes sauber bzw. algenfrei.
Parallel zum Einsatz in der Kühlwasserdesinfektion im Chemiepark Marl wurde das Verfahren an Ashland Hercules Water Technologies, eines der weltweit führenden Wasserbehandlungs-Unternehmen, lizenziert und ist mittlerweile in zahlreichen industriellen Kühlsystemen in Europa im Einsatz. ●
* Die Autoren sind Mitarbeiter des Bereichs Ver- und Entsorgung des Geschäftsbereich Site Services bei Infracor.

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